Ich bin ein wenig hinter dem aktuellen Tagesgeschehen zurückgeblieben. Aber veraltet sind meine Thanksgivingerlebnisse von letzter Woche deshalb noch lange nicht. Schließlich bin ich den Muskelkater erst seit ein paar Tagen los :-) Vom Truthahnschneiden? Weit gefehlt. Ich hab mich stattdessen unter die Sportler gesellt. Und für alle die, denen das jetzt komisch vorkommt, folgt hier die Erklärung:
Thanksgiving ist in Cincinnati traditionell mit dem 10-Kilometer-Rennen downtown für einen guten Zweck verbunden. Mir war diese Idee anfangs auch recht fremd. Guter Zweck, ja gern, ich spende ein paar Dollar - aber warum sollte ich bezahlen, um dann auch noch laufen zu müssen? So ist das halt hier: Die Startgebühr geht direkt an einen Verein, der damit das schlechte Gewissen der Amerikaner und uns vier Europäern ausgleicht. Das ist, kurz gesagt, Thanksgiving hier.
Ich hatte nun von diesem Lauf gehört, an dem alljährlich tausende Menschen teilnehmen. Silvana wollte also wieder mal dabei sein, wenn irgendwo was los war - selbst wenn das mit körperlicher Anstrengung verbunden war. Um den Schaden zu begrenzen, suchte ich mir Leidensgenossen. Das waren dann am Ende Simone aus Deutschland, die im letzten Jahr hier gelebt hatte und nun auf Besuch zurück war, ihr Freund Will sowie Sandrine und Jean-Marie aus Frankreich. Das Gute daran war: Simone und ich konnten vorher gerechtfertigt auf Shopping-Tour gehen, weil wir ja das nötige Equipment brauchten... Wer kann da schon widersprechen? Außerdem hatte ich die glorreiche Idee, schon einmal vorher auszutesten, was meine Beine und Lunge so hergeben, und probte den Donnerstag-Morgen-10-Kilometer-Ernstfall schon mal am Montag in meinem Viertel. Berg hoch, Berg runter, bis zur Ampel, Hoffen, dass die Ampel rot wird, wenn man bei ihr ankommt, Feststellen, dass sich alle Ampeln Cincinnatis gegen einen verschworen haben und grün werden, sobald man sich ihnen nähert. Aber mein innerer Schweinehund ließ sich besiegen und so kam ich nach 10 Kilometern und etwas mehr als einer Stunde wieder zu Hause an. Aber hey, die Glückshormone, die ich danach ausschüttete, haben mich tatsächlich belohnt. Der Muskelkater und die Rückenschmerzen in den nächsten Tagen machten das allerdings wieder wett. Uff....aua....urgs...verdammt nochmal...
Die Mittwoch-Abend-Therapie bestand dann in Schwimmen und im Whirpool-Liegen. Das tat Wunder - bis ich zu Luise, die in der Nähe des Fitnesscenters geparkt war, zurückkehrte und den nächsten Strafzettel an ihrer Windschutzscheiben kleben sah. Die nächste Schmerzattacke durchzockte sogleich meine Muskeln und insbesondere meinen Rücken. 40 $ für Falschparken. Die Amis haben echt keine Relationen...Zur Ablenkung gesellte ich mich zur Pre-Thanksgiving-Party der Internationals. Das war eigentlich ziemlich nett. Recht ruhig, tatsächlich fast bürgerlich, aber ur-gemütlich. Jeder hatte etwas zu essen mitgebracht (was sich als die Hauptbeschäftigung des nächsten Tages herasstellen würde, aber noch fand ich das alles ganz prima...). Naja, ich hatte auf den Strafzettelschock nur noch die Alkoholabteilung des Supermarkts finden können. Mir wurde verziehen.
Am nächsten Morgen klingelte dann der 10-Kilometer-Rennen-Wecker um 8 Uhr. Wie gut, dass ich andere Leute angestiftet hatte, mit mir zu laufen und mich abzuholen. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich nochmal genüsslich in meinem Bettchen umgedreht und weitergeschnarcht. Stattdessen war ich tatsächlich fertig gekleidet, als Sandrine und Jean-Marie bei mir klingelten. Keiner war motiviert, alle beschuldigten mich, die ganze Sache angerührt zu haben - und ja: Sie hatten Recht. Aber nun gabs kein Zurück. Irgendwas in meinem unteren Rücken stichelte zwar noch fürchterlich, aber wenn ich gebeugt genug lief, hielt sich der Schmerz in Grenzen. Ich hatte also meine Strategie gefunden.
Wir waren alle ein wenig überwältigt von den Massen an Menschen, die sich früh morgens an Thanksgiving im Football-Stadion downtown eingefunden hatten. Die Startnummern der Leute konnten wir bis auf deutlich über 12000 verfolgen. Entsprechenderweise waren wir auch nicht in der ersten Reihe beim Startschuss. Und erst hier wurde mir beigebracht, dass nicht der-/ diejenige mit der schnellsten Zeit das Rennen gewinnen würde, sondern der-/diejenige, der/die (boah, dieses Feministengehabe kann ganz schön anstrengend sein) zuerst das Zielband durchläuft. Ich hatte also von Vornherein keine Chance. Deshalb gab ich meine Siegesambitionen gleich mal auf und stellte den Spaß (und die Bekämpfung des Schmerzes in meinem Rücken) in den Vordergrund. Mone und ich waren ein hervorragendes Team. Angefeuert von Gloria Gaynors "I will survive" auf meinem (geborgten-wichtig für das Verständnis von Teil 2 dieses Eintrages...) MP-3-Player liefen sich die 6, 213 Meilen nur noch halb so schwierig. Nach einem großen Bogen in Downtown Cincinnati liefen wir über eine der Ohio-Brücken hinüber nach Kentucky, vorbei am Kino (wo wir beschlossen, nie wieder mit dem Auto ins Kino zu fahren) und anderen Sehenswürdigkeiten in Newport, zurück über eine andere Brücke zum Stadion - fast, denn die 0, 213 Meilen zwangen zu einem kleinen Umweg. Das ist echte Folter, wenn man das Ziel schon fest vor Augen hat, dann aber doch nochmal abbiegen muss. Aber Robbie Williams dudelte "Rock DJ" und ich keuchte den Rest der Strecke vor mich hin. Aber: I did it! Nach meiner Uhr war ich sogar unter 1 Stunde und 10 Minuten geblieben. Lacht ruhig vor euch hin. Ich fand das vollkommen okay in Anbetracht meines Muskelkaters und des Zwickens im Rücken. Die schlechte Nachricht kam dann von der offiziellen Zeitmessung in dem kleinen Computer an meinem Schnürsenkel: 1:11:01. Damn it. Aber die strahlende Sonne ließ mich darüber dann auch nur noch lachen. Die Vorfreude auf das traditionelle Truthahnessen tat ihr Übriges.
Mone und ich waren bei der Familie einer amerikanischen Freundin zum Mittagessen eingeladen. Obwohl wir beide ziemlich k.o. waren, hatten wir doch noch eine Menge Spaß. Schließlich ist so ein traditionelles Familien-Thanksgiving schon eine besondere Erfahrung. Punkt 1 und gleichzeitig das Wichtigste überhaupt: Das Essen. Genauer gesagt: Der Truthahn mit den dazu gehörigen Zutaten. Stampfkartoffeln, die Truthahnfüllung (stuffing halt), süße Kartoffeln, Erbsen, Bohnen, Cranberrie-Salat, äääh, hab ich was vergessen? Es war das gaaanz große Fressen. Im Prinzip ist derjenige der Verlierer, der danach nicht sofort in komatösen Tiefschlaf verfällt. Mone und ich waren ziemlich gut dabei (nachdem ich 7268. insgesamt beim Rennen geworden war und 3029. unter den Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts). Wir hatten jede Menge Spaß, denn die ganze Familie der besagten Freundin war für dieses Ereignis zusammengekommen (inklusive des äußerst netten Cousins...). Ich schätze auf so ungefähr 20 Leute und konnte nicht anders, als die ganze Atmosphäre, insbesondere mit dem späteren Kartenspielen, mit unserem Weihnachten zu vergleichen. Nur ohne Geschenke. Ich glaube, das trifft es ziemlich gut. Schließlich war auch sonst alles anders an diesem Tag in den USA. Die Straßen waren wie ausgestorben. Parkplätze gab es zu Hauf in meinem Stadtviertel. Und selbst der 24-Stunden-Supermarkt hatte geschlossen...ehrlich gesagt: ich glaube, das passiert noch nicht einmal zu Weihnachten.
Nachdem ich mich dann also von besagtem Cousin verabschiedet hatte, fuhren Simone und ich
weiter zum nächsten Truthahnessen, das Christina und Elizabeth vorbereitet hatten. Dinner Party. Aber wenn man am Morgen 10 Kilometer gelaufen ist, dachte ich, dürften es ruhig auch zwei Turkeys sein. Nach und nach trudelten alle möglichen Freunde ein, die über Thanksgiving nicht zu ihrer Familie gefahren waren. Das waren ein paar Leute aus meinem Institut und darüber hinaus ein paar internationals. Christinas neue Wohnung hatte einen solchen Ansturm von Leuten noch nicht gesehen. Aber irgendwann ist ja immer das erste Mal. Nachdem mein zehnter Vorschlag für ein Spiel dann endlich angenommen wurde, verbrachten wir die nächsten Stunden mit dem guten, alten Wer-
Bin-Ich-Spiel, bei dem einem der Namen von irgendeiner Person auf
die Stirn geklebt wird, den man dann per Ja-oder-Nein-Fragen erraten muss. Useless to say: I had a lot of fun ;-) Aber nach ein paar Verdauungsdrinks ging selbst mir die Puste aus und ich fiel vollkommen erschöpft in mein Bettchen. Kein Thanksgiving-Tanzen, aber ich hatte ja auch noch Großes vor.
(Tut mir leid. Ich merke, wie sich dieser Bericht schon wieder ins Unermessliche ausdehnt. Gleichzeitig schreiten die Zeiger meiner Uhr schon deutlich auf 2 Uhr morgens voran. Also: Der Rest ein wenig kürzer.)
Der Tag NACH Thanksgiving ist DER Shopping-Tag für den John-Normal-Amerikaner. Das heißt aber nicht, dass auch die Zeiten des Einkaufens normal wären. Die Geschäfte haben wahnsinnige Angebote in den Läden (Computer für 200 Dollar und so) - allerdings nur von 5 Uhr morgens bis 11 Uhr kurz vor Mittag. Ich hatte mir einen neuen MP-3-Player, ein Super-Schnäppchen einer renommierten Elektrogerätekette, ausgesucht (nur 30$!!!). Dafür war ich auch bereit, Luise um 5 Uhr morgens zur Mall zu fahren. Alle hatten sie mich gewarnt, alle hatten sie versucht, mich abzuhalten. Trotzkopf Silvana ließ nicht locker.
Um 5 Uhr auf dem Parkplatz der besagten Elektro-Kette angekommen war auch alles halb so schlimm. Nur ein paar Leute standen vor der Tür an. No Problem. Ich also zum Ende der Schlange hin....bloß das Ende ließ sich nicht finden. Die Reihe der Leute vor dem Geschäft ging hinter der Ecke weiter. Naja, immer noch kein Problem. Stell ich mich eben dahinter an. Blöd nur, dass die Schlange noch hinter der nächsten Ecke (also an der Rückseite des Gebäudes) weiterging, und zwar die komplette Länge des Geschäfts entlang. Aber nun war ich halt hier und Aufgeben ist meine Sache ja nicht unbedingt. Nach einer geschlagenen Stunde des Wartens in der Kälte konnte ich dann endlich den Laden betreten. Mittlerweile freute ich mich mehr über die angenehmen 25 Grad drinnen als über die Aussicht auf meinen neuen MP-3-Player. Immerhin: Mein Auserwählter war eine Stunde nach Ladenöffnung noch nicht ausverkauft (anders als die Sony Playstation 3, die Computer, Laptops und Flachbildfernseher, auf die die meisten scharf gewesen waren). So konnte ich also genüsslich durch den Laden schlendern (denn es wurden immer nur 25 Leute pro Schub hineingelassen) und mir mein eigenes Bild machen vom Shoppingwahnsinn schlechthin. Sommerschlussverkauf ist ein Sch...dreck dagegen. Mir fehlen die Worte. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach diesem Einkauf noch in den anderen Geschäften nach Schnäppchen zu suchen. Danach war mir dann um 6:30 Uhr doch nicht mehr. Die Aussicht auf mein warmes Bett war zu verlockend. Und die Aussicht, meinen Muskelkater einfach wegzuschlafen, auch. Selbst wenn diese unerfüllt blieb.
8 Kommentare:
Die spinnen, die Amis!
und ich spinne schon mit...oh, oh, oh...
Ja! Besinn Dich Deiner deutschen Wurzeln und schreibe mal ein paar Bandwurmsätze mit neuen, extralangen Wortkreationen auf. Das hilft sicher gegen Amerikanisierung.
;)
Na die Shopping-Erfahrung teile ich dann wohl mit dir. Bloß das ich jegliche Schlangen vermieden habe. Es war so schon muffig genug.
Ich habe übrigens deinen Kommentar nich ganz verstanden, aber wir haben ja auch eine Stunden Zeitunterschied. Da ist ja eine etwas längere Leitung gut möglich.
Ciao, oder ganz amerikanisch: Rock on!
nee, nee, zeitverschiebung gilt nicht. ohio gehört noch zu deiner ossi-zeitzone. selbst wenn gleich nebenan auch zeitlich der midwest so "richtig" losgeht ;-)
Meine Bewunderung über dein Durchhaltevermögen beim Laufen habe ich dir ja bereits telefonisch mitgeteilt.Hätte ich dir nie zugetraut.Liebe Grüße Mamab
so viel vertrauen und zuversicht hast du in deine große tochter...na warte... ;-)
Oh ha gebeugt laufen, da werden deine Bandscheiben aber ein Freundentänzen aufgeführt haben, das tut mir ja jetzt schon beim Lesen weh :)Ich sollte dir wahrscheinlich mal ein Rückenschulprogramm rüber schicken, damit du von meinem Wissen auch etwas hast,das kann ich ja nicht mit ansehen :)Hast du wieder so gejammert wie damals nach dem Klettern? Wenn ich dran denke habe ich immernoch Tränen vor Lachen in den Augen (Cindy übrigens auch).
Aber ich muss dir auch meinen Respekt aussprechen,das hätte ich nicht von dir erwartet!Bin stolz auf dich!
Liebe Grüße von der Insel Fehmarn!
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